Südamerika

Die schlechte Behandlung der Indianer in Südamerika zur Zeit der Kolonialisierung ist einer jener Punkte, die als Beweis für die Gewalttätigkeit des Christentums dienen. Auch heute noch gibt es in Südamerika europäische Christen, die großen Einfluß haben auf die Menschen dort: Erwin Kräutler zum Beispiel war etwa 35 Jahre lang Bischof und Prälat von Xingu, der flächenmäßig größten Diözese Brasiliens. Aber: er ist einer der Guten, hat für seinen Einsatz für die indianischen Ureinwohner  den alternativen Nobelpreis (Right Livelihood Award) erhalten und steht damit in einer Reihe mit Persönlichkeiten wie Vandana Shiva, Amy Goodman, Edward Snowden und Paul F. Walker.

Er hilft, das Bild der damaligen Vorgänge differenzierter zu sehen:

„Der Jesuit Antonio Vieira war einer der ersten Missionare im Amazonasgebiet. weil er sich dem ausbeutenden System der portugiesischen Kolonialherren widersetzte, wurde er am 17. Juli 1661 in Belém festgenommen und (…) unter Hausarrest gestellt. Um seinen Einfluß zu brechen, hat man ihn schließlich nach Lissabon ausgewiesen. Am Ephiphanietag 1662 hielt er dann, vor versammeltem portugiesischem Hof, jene berühmte Predigt, die noch heute ihre Gültigkeit hat (…): „Man möchte, daß wir die Eingeborenen zum Glauben bringen und sie dann der Gier überlassen; man möchte, daß wir die Schafe zur Herde bringen und sie dann dem Hackbeil überlassen; man möchte, daß wir die Könige zu Christus bringen und sie dann Herodes überlassen. Und da wir diese Sinnlosigkeit aufgedeckt haben, sind wir die Törichten; da wir uns dieser Ungerechtigkeiten widersetzten, sind wir die Ungerechten; da wir uns gegen solcherlei Herzlosigkeit wehren, sind wir die Ruchlosen. Man möchte den Dienern des Evangeliums lediglich das Heil der Seelen anvertrauen und will, daß die Hörigkeit und Knechtschaft des Leibes Sache der Staatsdiener sei.“ Die Jesuiten, als „notorische Rebellen, Verräter, Widersacher und Aggressoren“ bezeichnet, wurden völlig isoliert. Mündliche oder schriftliche Verständigung mit ihnen war unter Androhung der Todesstrafe untersagt. (…) Zunächst traf dieses Los einzelne Missionare. Marques de Pombal ordnete jedoch mit dem Gesetz vom 3. September 1759 die generelle Ausweisung aller Jesuiten an. (…) Alleingelassen und ohne Verteidiger ihrer Rechte waren sie eine leichte Beute für die Kolonialherren. Sie wurden unterdrückt und ausgebeutet und wer sich der Versklavung widersetzte, wurde erschlagen. Unzählige Menschen fielen der Gier und den Interessen der Machthaber zum Opfer. Ganze Völker verschwanden vom Erdboden.“

aus: Erwin Kräutler „Mein Leben ist wie der Amazonas“, S. 12f

Kräutler steht in der Tradition der Befreiungstheologie auf der Seite der Armen, Unterdrückten, Marginalisierten. Diese Bewegung hat in Südamerika ein Aufatmen gebracht (und, wie es scheint, auch Papst Franziskus):

„Jesus stellt an den Beginn seines öffentlichen Wirkens die klare, unmißverständliche „Option für die Armen“. Die ganze Bibel ist die Offenbarung dieser vorrangigen Liebe Gottes für die Benachteiligten, die Ausgestoßenen, die an den Rand Gedrückten, für alle, die aus dem Abgrund ihrer Not, ihres Elends, ihres Schmerzes, ihres Hungers, ihrer Angst, ihrer „Todesbedingungen“ um Hilfe schreiben.

Die Befreiungstheologie hat gerade den Zusammenhang zwischen Gott, den Armen und ihrer Befreiung wiederentdeckt und zwar nicht, wie das so oft behauptet wird, aus gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Erwägungen, sondern aus der Offenbarung selbst.“ (Seite 62f)

Leider war der Einsatz für die Indigenen in Südamerika nicht nur zur Zeit der Kolonialisierung unerwünscht- der Einsatz kam Erwin Kräutler nie billig:

„Im Jahre 1983 wurde Kräutler wegen Teilnahme an einer Solidaritätsaktion mit Zuckerrohrpflanzern von der Militärpolizei festgenommen und verprügelt. Am 16. Oktober 1987 überlebte Kräutler einen Mordanschlag schwer verletzt, als ein Kleinlastwagen bei einem inszenierten Autounfall frontal in seinen PKW fuhr. Sein Mitfahrer wurde getötet. Die Täter und der Auftraggeber des Mordanschlages wurden verurteilt, der Auftraggeber jedoch nach einem zweiten Verfahren freigelassen.

1995 wurde Kräutlers Ordensbruder und Mitarbeiter Hubert Mattle am Bischofssitz Altamira ermordet.

Nach der Ermordung der Umweltaktivistin und Ordensschwester Dorothy Stang im Jahr 2005 wurde Erwin Kräutler wiederholt mit dem Tod bedroht, da er auch Hintermänner vor Gericht bringen wollte. Weitere Gründe für Morddrohungen sind sein Widerstand gegen das Staudammprojekt Belo Monte und seine Anzeigen gegen einflussreiche Personen in Altamira wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern und Kinderprostitution. Er wurde wiederholt mit Morddrohungen wegen seines Kampfes für den Umweltschutz konfrontiert.]

Erwin Kräutler steht seit Jahren unter Polizeischutz.“ (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Erwin_Kr%C3%A4utler)

Die Homepage http://www.bischof-kraeutler.at/

Artikel in der Süddeutschenzeitung: „Ein Bischof gegen das Kartell“

Artikel taz.de: Alternativer Nobelpreisträger Erwin Kräutler „Es geht um ihr Recht auf Leben“

 


Ein Artikel von Rabbi Alan Lurie vom 10. April 2012 auf Huffington Post, übersetzt von uns (Hervorhebungen von uns):

Ist die Religion die Ursache der meisten Kriege?

Vieles, was beim Thema Religion unhinterfragt als Tatsache angenommen wird, ist ein Irrtum, wie zum Beispiel dass religiöse Menschen anti-wissenschaftlich sind, dass es die richtige Einstellung ist, heilige Texte wörtlich zu deuten, dass Glaube und Vernunft inkompatibel sind, und dass alle Religionen beanspruchen, die einzige und absolute Wahrheit zu haben.

Während diese Einstellungen für eine Minderheit der Bevölkerung zutreffen, treffen sie auf die Mehrheit der Gläubigen, für die bestimmenden Glaubenssätze und -praktiken nicht zu. Es ist jedoch verständlich, dass diese irrtümlichen Annahmen bestehen, denn sie kommen von den lautesten Stimmen jener, die extreme Positionen vertreten, und die -wie andere polarisierende Einstellungen in Politik und Kultur- vereinfachte Ideen darstellen, die das „wir gegen sie“ Denken fördern. Es gibt jedoch einen Irrglauben über Religion, der mit größter Regelmäßigkeit -oft von gebildeten, achtsamen Menschen- als offensichtliche Wahrheit dargestellt wird, der sachlich einfach nicht wahr ist: Die Annahme, dass Religion der Grund für die meisten Kriege war.

In seiner köstlichen Analyse der 10 Gebote, sagte George Carlin unter tosendem Applaus: „Mehr Menschen wurden im Namen Gottes getötet als aus irgend einem anderen Grund“ und viele halten diese Aussage für eine historische Wahrheit. Wenn ich höre, dass Religion der Auslöser der meisten Krieg war, frage ich die Person, welche Kriege das waren. Die typische Antwort lautet dann: „Na komm! Die Kreuzzüge, die Inquisition, Nordirland, der Nahe Osten, 9/11. Muß ich noch welche nennen?“

Ja, das ist notwendig, denn während es ganz klar Kriege gab, deren Hauptgrund die Religion war, zeigt ein objektiver Blick ins Geschichtebuch, dass diejenigen, die im Namen der Religion getötet wurden, in Wirklichkeit nur einen winzigen Bruchteil darstellen in der blutigen Geschichte menschlicher Konflikte. In ihrem kürzlich erschienenen Buch „ Encyclopedia of Wars“ (Enzyklopädie der Kriege, Anm.d.Übers.) dokumentieren die Autoren Charles Phillips und Alan Axelrod die Geschichte der aufgezeichneten Kriege. Von ihrer Liste mit 1763 Kriegen werden nur 123 genannt, die auch einen religiösen Hintergrund hatten; das sind nur 7% aller Kriege und 2% aller im Krieg getöteten Menschen. Während geschätzte 1 bis 3 Millionen Menschen tragischerweise in den Kreuzzügen getötet wurden und vielleicht 3.000 in der Inquisition, starben allein fast 35 Millionen Soldaten und Zivilisten im sinnlosen, sekularen (also nicht religiösen, Anm.d.Übers.) 1. Weltkrieg.

Die Geschichte bestätigt die Hypothese einfach nicht, dass Religion der große Auslöser von Konflikten ist. Der Auslöser für Kriege in der Antik waren kaum jemals, wenn überhaupt, die Religion. Diese Kriege wurden wegen Territorialgewinnen geführt, um Grenzen zu kontrollieren, Handelsrouten zu sichern oder waren eine Reaktion auf interne Herausforderungen der politischen Autorität. Tatsächlich achteten die antiken Eroberer, seien es Ägypter, Babylonier, Perser, Griechen oder Römer gewesen, die religiösen Überzeugungen der Eroberten, und fügten deren Götter oft ihrem eigenen Pantheon hinzu.

In den Kriegen des Mittelalters und der Renaissance ging es normalerweise auch um Autorität und Reichtum, als Stadtstaaten um Kontrolle wetteiferten, oft mit der Unterstützung, aber kaum auf Veranlassung, der Kirche. Und der Einfall der Mongolen, dem bis zu 30 Millionen Menschen zum Opfer gefallen sein sollen, hatte auch nicht den leisesten religiösen Anteil.

Die meisten Kriege der Moderne, inklusive der Napoleonischen Feldzüge, der Amerikanischen Revolution, der Französischen Revolution, dem Amerikanischen Bürgerkrieg, dem 1. Weltkrieg, der Russischen Revolution, dem 2. Weltkrieg und den Konflikten in Korea und Vietnam, hatten weder einen religiösen Auslöser noch irgendwelche religiösen Komponenten. Während religiöse Gruppen (insbesondere im 2. Weltkrieg) speziell attackiert wurden, wäre die Idee, Religion als einen Grund zu nennen, nichts anderes als dem Opfer eine Schuld unterzuschieben und die Motive der Täter zu mißverstehen, die nationalistisch und ethnisch waren, nicht religiös.

Ebenso hat die große Anzahl an Genoziden (Menschen, die in ethnischen Säuberungen etc. getötet wurden, die nicht mit einem erklärten Krieg in Zusammenhand standen) nichts mit Religion zu tun. Es wird geschätzt, dass alleine in den Genoziden des 20. Jahrhunderts 160 Millionen Zivilisten getötet wurden, davon fast 100 Millionen in den Kommunistischen Staaten UdSSR und China. Während einige argumentieren, dass der Kommunismus selber eine „Staatsreligion“ war -weil es einen absoluten Diktator gab, dessen Wort Gesetz ist und ein „heiliges Buch“ nicht anzweifelbarer Regeln-, stellt das die Religion auf die gleiche Ebene wie das menschenliche Verlangen nach Macht, Konformität und Kontrolle, und macht damit jede Unterscheidung mit anderen menschlichen Institutionen sinnlos.

Natürlich ist die Hebräische Bibel (i.e. das Alte Testament, Anm.d.Übers.) eine Chronik vieler Kriege -insbesondere Moses´ Auseinandersetzungen in der Wüste und Josuas Eroberungen in Kanaan- und wir könnten dies für Beispiele religiös sanktionionierter Gewalt halten. Hier müssen wir aber feststellen, dass die Archäologie Hinweise liefert, dass diese Eroberungen niemals stattgefunden haben, oder zumindest nicht so dramatisch wie in der Bibel beschrieben. Als jemand, der die Bibel nicht wegen historischer Fakten sondern wegen spiritueller Wahrheiten liest, bin ich natürlich froh, dass solche Gemetzel nie stattfanden. Die Rabbis der Antike verstanden diese Geschichten nicht als die von gefeierten Siegen, sondern als Warnungen vor den Gefahren des Krieges.

Im Judentum wurde immer gelehrt, dass Krieg nur als Antwort auf eine konkrete Gefahr in Betracht gezogen werden darf, wenn jede andere Möglichkeit ausgeschöpft ist. Das Ziel muß sein, Krieg zu vermeiden. Das 5. Buch Mose sagt „Wenn du vor eine Stadt ziehst, um gegen sie Krieg zu führen, so sollst du ihr Frieden anbieten.“ (Anm.d.Übers.: Kapitel 20 Vers 10, Schlachter 2000). Mit anderen Worten soll der erste Schritt sein, Frieden zu suchen, auch bei Gefahr. Die Rabbis der Antike gingen so soweit, um schlicht zu sagen: „In Gottes Augen ist der Mann groß, der Frieden zwischen Menschen stiftet. Aber der Mann, der Frieden zwischen den Völkern stiftet, ist der größte.“

In aller Klarheit: das heißt nicht, dass Religion keinen Grund für Konflikte darstellt. Offensichtlich war es so, ist es so und wird so sein. Ganz klar gibt es jene, die aus religiösem Eifer grauenvolle Dinge getan haben, und wir müssen diese Bedrohungen ernst nehmen und energisch darauf reagieren. Aber in einer Welt, in der sich Milliarden Menschen selber als religiös definieren, ist die Anzahl derer, die glauben, dass Gewalt der Wille Gottes ist und dass das Töten Unschuldiger eine heilige Tat ist, eine kleine, wahnsinnige Minderheit.

Wir müssen für den Frieden als höchstes religiöses Ziel arbeiten. Als er eine Zukunft zeichnete, in der die Welt durch bewußte Taten menschlicher Wesen perfektioniert wird, schrieb der jüdische Prophet Jesaja: „Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk gegen das andere ein Schwert aufheben, und werden hinfort nicht mehr kriegen lernen.“ (Jesaja 2,4; Luther 1545, Anm.d.Übers.) Während Religionen bezüglich dieser utopischen Vision oft versagt haben, müssen wir erkennen, dass Gier, aus dem Gleichgewicht gekommene Macht und grundloser Hass -nicht religiös- die Gründe für die meisten Kriege sind, und diese zu beseitigen sollte unser Fokus sein.

Original-Artikel: https://www.huffingtonpost.com/rabbi-alan-lurie/is-religion-the-cause-of-_b_1400766.html