Atlasspinner (Zoo London)

 

 

Image credits: Nevit Dilmen (talk)

Die Natur -und überhaupt alles, was ist- ist von einer Großartigkeit, die sich umso besser bei eingehenderer Betrachtung zeigt. Je mehr man weiß und versteht, je detaillierter die Abbildung, desto großartiger die Sache, denn was ist, ist von einer derartig unerwarteten Schönheit und Komplexität, dass nur Staunen bleibt. Allein der menschliche Körper: Wieviele fette medizinische Bücher erklären, wie er funktioniert, und wieviel ist immer noch unbekannt. Die Strukturen der kleinsten wie der größten Dinge, die sich erstaunlicherweise so ähneln. Die Schönheit und das Unerwartete in der Mathematik, die erstaunliche Komplexität bereits einfachster Strukturen; die mit anderen Strukturen in Austausch sind und damit neue und komplexe Systeme schaffen, die nun ihrerseits mit anderen Systemen in Austausch sind, was neue, höhere Komplexitäten hervorbringt usw. Es ist geradezu ohne Ende- die Erde, das Sonnensystem, die Galaxien: Systeme in Systemen in Systemen.

Die Gesetze dazu sind keine Gesetze wie wir sie kennen: wo das Strafgesetzbuch sagt, du darfst nicht stehlen, und wenn Du stiehlst, dann passiert dieses und jenes. Solche Gesetze sind von Land zu Land unterschiedlich, und auch deren Auslegung, Durchführung und Überwachung unterscheiden sich von Ort zu Ort. Die Gesetze der Natur unterscheiden sich niemals von Ort zu Ort, und sie können vom Menschen auch nicht geändert werden; ebenso gibt es keine Abweichungen oder Übertretungen: versuchen Sie doch mal, gegen das Gesetz der Schwerkraft zu verstoßen. Genau genommen sind diese Gesetze daher eher Beschreibungen dessen, was ist.

(Es verhält sich ein bißchen wie in dem Witz, in dem Sabine am Abend nach dem Geographie-Test betet: „Und bitte lieber Gott, gib, dass Lissabon die Hauptstadt von Frankreich ist.“)

Dass die Sache noch ein wenig komplizierter wird, macht das Wasser: es folgt nämlich nicht den herkömmlichen Regeln. Wäre das Wasser eine Element wie jedes andere, dann würden etwa Teiche im Winter komplett zufrieren, von oben bis ganz unten. Und was würde dann mit den Tieren im Teich passieren? Sie wären danach selbstverständlich tot, und im Frühling gäbe es etwa keine Fische mehr darin. Der Teich wäre ein anderer, es würde vermutlich überhaupt nie Fische darin geben, denn woher sollten die neuen kommen?
Aber das Wasser hält sich nicht an das Gegebene. Wegen der sogenannten Dichteanomalie (Praktisch alle Stoffe nehmen an Dichte zu, wenn sie abkühlen. Die Moleküle rücken zusammen, der Stoff verliert an Volumen. Anders Wasser: Seine Dichte nimmt beim Abkühlen bis plus vier Grad zu, darunter dehnt es sich aber wieder aus. Quelle: Welt) schwimmt Eis oben, während das Wasser am Grund des Teiches flüssig bleibt und die Fische (und alles andere Getier und Gepflanz) daher den Winter überleben.

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Martin Chaplin, emeritierter Chemiker an der London South Bank University, listet auf seiner Website  (siehe auch die überkomplette und gut strukturierte Sitemap) 67 (!) ungewöhnliche Eigenschaften oder Anomalien von Wasser auf.

„Wasser ist, verglichen mit anderen Stoffen, eine Klasse für sich mit außergewöhnlichen Eigenschaften. Die anomalen Eigenschaften des Wasser sind dort zu finden, wo sich das flüssige Wasser komplett anders verhält als andere Flüssigkeiten. (…) Wenn es keine Wasserstoffbindung hätte, würde sich das Wasser wie andere, ähnliche Moleküle verhalten. Kein anderer Stoff kommt fest (Eis), flüssig (Wasser) und gasförmig (Dampf) vor. Auch gefrorenes Wasser (Eis) zeigt Anomalien, verglichen mit anderen festen Stoffen. Obwohl es wie ein simples Molekül aussieht (H2O), zeigt es aufgrund seiner intermolekulären Wasserstoffbindung hoch komplexe und anomale Eigenschaften.
In Gasform gehört Wasser zu den leichtesten Gasen, als Flüssigkeit ist es jedoch viel dichter, als zu erwarten wäre; in seiner festen Form ist es wieder viel leichter als zu erwarten wäre, verglichen mit seiner flüssigen Form. Es kann gleichzeitig extrem rutschig und extrem klebrig sein. Dieses „rutschig/klebrige“ Verhalten ist das, wie sich Wasser für uns anfühlt.
In unserem alltäglichen Leben ist Wasser so gewöhnlich, dass es meist als „typische“ Flüssigkeit wahrgenommen wird. In Wirklichkeit ist Wasser fast a-typisch für eine Flüssigkeit; seine Eigenschaften bei niedrigen Temperaturen scheinen fast wie bei einem anderen Stoff, verglichen mit den Eigenschaften bei Hitze, mit einem Temperaturunterschied von 50°C. Es wird oft gesagt, dass Leben von diesen anomalen Eigenschaften von Wasser abhängt.
Bei 4°C dehnt sich das Wasser aus- egal, ob es abkühlt oder sich erwärmt. Dieses Dichtheitsmaximum resultiert zusammen mit der geringen Dichte von Eis darin, dass (…) Flüsse, Seen und Meere von oben nach unten zufrieren, und damit der Überleben der untersten ökologischen Schickt ermöglicht; dass das Wasser gegen weiteres Frieren isoliert; dass Sonnenlicht zurück in´s All reflektiert wird. (…)
Die große Wärmekapazität der Meere macht sie zu Wärmespeichern, sodass die Veränderung der Meerestemperatur nur ein Drittel der Veränderung der Temperatur der Landmassen ausmacht und damit für weniger scharfe Unterschiede beim Klima der Erde sorgt (zum Beispiel bringt der Golfstrom tropische Wärme nach Nordwesteuropa).

Eine Auswahl der Anomalien:

Phasenanomalien
1. Wasser hat einen ungewöhnlich hohen Schmelzpunkt.
2. Wasser hat einen ungewöhnlich hohen Siedepunkt.
6. Die Struktur von flüssigem Wasser verändert sich bei hohem Druck.
9. Flüssiges Wasser existiert bei sehr niedrigen Temperaturen und friert bei Erwärmung.

Anomalien der Dichte
1. Die Dichte von Eis erhöht sich bei Erwärmung (bis zu 70K).
2. Wasser zieht sich beim Schmelzen zusammen.
3. Druck verringert den Schmelzpunkt von Eis.
5. Die Oberfläche von Wasser ist dichter als die Masse.
6. Druck reduziert die Temperatur der maximalen Dichte.

Physikalische Anomalien
1. Wasser hat eine ungewöhnlich hohe Viskosität.
7. Wasser hat eine ungewöhnlich hohe Oberflächenspannung.“

(eigene Übersetzung)

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